Videoverhandlung bei komplexen Verfahren?

Veröffentlicht von Redaktion am

Videoverhandlung bei komplexen Verfahren

Komplexe Sachverhalte, hoher Streitwert oder technische Herausforderungen können triftige Gründe sein, eine mündliche Verhandlung nicht als Videokonferenz durchzuführen. Das hat das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart in seinem Beschluss vom 10. März 2025 (Az. 3 W 10/25) klargestellt.

Der Fall

Dem Beschluss des OLG Stuttgart ging ein wirtschaftsrechtliches Verfahren mit einem Streitwert über einer Million Euro voraus, das vor dem Landgericht Ellwangen geführt wurde. Streitgegenstand war die Rückabwicklung eines Vertrages zum Erwerb einer Photovoltaikanlage sowie die Überlassung von Dachflächen.

Die Beklagten beantragten mehrfach Terminsverlegungen und schließlich eine Videoverhandlung nach § 128a ZPO, die der Einzelrichter aufgrund der Komplexität des Sachverhalts und des hohen Streitwertes ablehnte.

Daraufhin stellten die Beklagten einen Befangenheitsantrag, da sie die Ablehnung der Videoverhandlung als willkürlich und ihr Recht auf rechtliches Gehör als verletzt ansahen. Zudem kritisierten sie die schnelle Entscheidung des Richters zur Zuständigkeit als Ausdruck von Voreingenommenheit.

Entscheidung des OLG Stuttgart

Das OLG Stuttgart bestätigte den Beschluss des Landgerichts Ellwangen und wies die sofortige Beschwerde der Beklagten zurück. In seiner Begründung hob das Gericht hervor, dass die Ablehnung der Videoverhandlung auf sachlichen Gründen beruhe. Die Komplexität eines Falles sowie der Streitwert sind legitime Erwägungen, die im Rahmen der richterlichen Einschätzung darüber entscheiden können, ob eine Verhandlung im Sinne des § 128a ZPO durchführbar ist.

Ebenso macht das Urteil deutlich, dass ein schnelles gerichtliches Vorgehen bei Entscheidungen nicht zwangsläufig Befangenheit bedeutet, sondern Teil einer effizienten Verfahrensführung sein kann.

Handlungsempfehlungen für die Praxis

  • Komplexitätsprüfung und Eignung für Videoverhandlung:

Vor der Beantragung einer Videoverhandlung sollte die Komplexität des Falls sowie die Anzahl der Beweismittel sorgfältig geprüft werden, um die Eignung nach § 128a ZPO sicherzustellen.

  • Technische Voraussetzungen sicherstellen:

Eine stabile Internetverbindung, geeignete Hardware und simultane Dokumenteneinsicht sind unverzichtbar. Die Machbarkeit muss vor Gericht nachvollziehbar dargelegt werden.

  • Plan B und Alternativstrategien:

Bei technischen Problemen sollte eine Präsenzverhandlung als Alternative bereitstehen. In komplexen Fällen empfiehlt es sich, bereits im Vorfeld alternative Verfahrensstrategien zu entwickeln.

  • Enger Austausch und Dokumentation:

Die Entscheidung eines Einzelrichters zur Ablehnung einer Videoverhandlung sollte dokumentiert werden. Bei Terminverlegungen ist eine enge Abstimmung mit Gericht und Gegenseite wichtig, um Verzögerungen zu vermeiden.

  • Fundierte Schriftsätze:

Ablehnungsgesuche für Richter müssen klar und nachvollziehbar begründet sein, um nicht als unzulässig zurückgewiesen zu werden.

Die Entscheidung des OLG Stuttgart schafft Klarheit, dass Videokonferenzen nicht uneingeschränkt auf alle Verfahren anwendbar sind. Anwält:innen sollten die technischen und inhaltlichen Herausforderungen im Blick behalten und gegebenenfalls die Präsenzverhandlung in Betracht ziehen, um eine optimale Verfahrensführung sicherzustellen.